Leseprobe des ersten Tages

Grenzerfahrungen auf dem JaKobsweg

Leseprobe aus dem Buch von Rudolf Mäder:

Abschied, Überraschung, Gewitter und Versuchung

Heute am 15. August, dem Fest Maria Himmelfahrt sollte die Reise beginnen. Die letzten Wochen in diesem Jahr 2003 waren trocken und heiß. Man sprach bereits von einem Jahrhundertsommer. Mein Fahrrad hatte ich bereits am Abend vorher startklar gemacht und mein Gepäck von etwas über 32 Kg war gut verstaut. Mein stabiles Tourenfahrrad wog mit dem notwendigen Reparaturwerkzeug 19 Kg. Dazu kamen 2 Kg für die 2 mit Mineralwasser gefüllten Trinkflaschen. Ich nahm für mehrere Wochen, wie ich damals meinte, herzlichen Abschied von meiner Frau und versprach mich jeden Tag mindestens einmal per Telefon oder per sms zu melden. Für alle Fälle hatte ich ein Handy mitgenommen um für Notsituationen gerüstet zu sein. Wie wichtig das war, sollte sich schon am 5. und 6. Tag zeigen, als diese Notfälle tatsächlich eintraten.

Außer meiner Familie hatte ich niemand etwas von dem Vorhaben meiner Pilgerreise erzählt. Ich wollte dem Spott entgehen der sicher aufgekommen wäre, falls ich innerhalb der ersten Tage mein Vorhaben hätte aufgeben müssen. Ich selbst war zum Beginn der Reise fest davon überzeugt, dass ich es schaffen würde, aber man konnte ja nie wissen!

Als einzige Ausnahmen waren mein Freund Mariano (der einer der Beweggründe für die Pilgerfahrt war) und seine Frau Erika informiert. Dazu noch Margret, die beste Freundin meiner Frau. Margret kam überraschend am Morgen der Abfahrt bei uns vorbei, um sich von mir zu verabschieden und meiner wegen der langen Reise etwas besorgten Frau Inge Beistand zu leisten.

Ich fuhr dann zuerst in Richtung Himmelreich zur kleinen, aber sehr alten Jakobuskapelle. Dort wollte ich um den Segen des Apostels Jakobus für meine lange Reise bitten und den Pilgersegen zu sprechen. Als ich kurz vor 9.00 Uhr dort ankam und gerade mein Fahrrad abstellte, kam wie bestellt eine Frau, um die Kapelle aufzuschließen und das Licht einzuschalten. Ich betrachtete dies als einen guten Auftakt und ein gutes Omen, betete und machte noch einige Fotos und fuhr dann frohgemut durch das Dreisamtal in Richtung Freiburg.

An der Dreisam entlang kam ich bald durch den dunklen, dicht bewachsenen Mooswald. Vorher beim Industriegebiet Haid, rief ich meinen jüngsten Sohn Matthias im Büro an und fragte ob er mich von dort aus eventuell sehen könne. Dies war leider nicht der Fall, aber immerhin hatte ich mich noch einmal telefonisch von ihm verabschiedet. Die Fahrt ging weiter über Freiburg-Tiengen nach Breisach-Oberrimsingen. Dort im Büro der Badischen Jakobusgesellschaft e.V holte ich mein Credencial, (Pilgerausweis) ab. Dieser war auch fertiggestellt und mit meinen persönlichen Daten, die ich einige Tage zuvor telefonisch mitgeteilt hatte, ausgefüllt. Als Pilgerart war die Pilgerreise en bicicleta (mit dem Fahrrad), angekreuzt. Alle Mitarbeiter der Jakobusgesellschaft wünschten mir Ultreija (immer vorwärts und immer mutig voran), ein gutes Gelingen der Reise und Buen Camino (einen guten Weg).

In Breisach besorgte ich mir noch für alle Fälle 2 kleine Schlösser für meine Lenkertasche und für meine Fahrradpacktasche. Ich fuhr über die Rheinbrücke und verließ Deutschland für einige Wochen, wie ich damals fälschlicherweise annahm. Über Colmar fuhr ich durch das Münstertal und kam bereits um 14.00 Uhr nach Münster. Jetzt schon eine Übernachtungsmöglichkeit zu suchen erschien mir noch zu früh, also nahm ich nach kurzer Überlegung den 1139 m hohen Col de la Schlucht in Angriff. Leider hatte ich sowohl das Wetter, als auch den sehr langen Anstieg unterschätzt. Das Wetter spielte verrückt. Blitz, Donner, starker Regen und kühler Wind machten mir sehr zu schaffen. Meine Mütze ging im Sturm verloren. Da ich sie unbedingt wieder haben wollte, legte ich mein Fahrrad samt dem Gepäck in ein Gebüsch an den Rand der Straße und lief über einen Kilometer zurück um sie zu suchen. Leider vergeblich. Der Wind hatte sie offensichtlich schon weit weg geweht. Mein leichter Regenumhang flatterte im Sturm und flog mir geradezu um die Ohren. Es war eine sehr dünne Regenpelerine, die schon etwas älter war. Diese wurde inzwischen undicht und konnte diesem Regen und Sturm nicht mehr standhalten. Nachdem die ersten Fetzen davonflogen, wickelte ich sie fest um meine Schultern. Trotzdem wurde ich total durchnässt. Ich entsorgte die übrig gebliebenen Reste noch am selben Abend. Ich fuhr dann weiter in Regen und Nässe über mehrere Stunden bergaufwärts dem Vogesenpass zu. Überraschend hielt plötzlich ein Wohnmobil mit holländischem Kennzeichen und der Fahrer fragte mich, ob ich mitsamt dem Fahrrad und dem Gepäck bis auf die Passhöhe mitfahren wolle.

Einerseits reizte mich dieses Angebot wegen der stürmischen Wetterlage sehr, andererseits aber war ich unsicher, ob ich dieser „bösen Versuchung“ gleich am ersten Tag nachgeben könne. Nach einem kurzen Moment des Schwankens und der inneren Überlegung traf ich die Entscheidung, weiter in Sturm und Regen mit dem Fahrrad fahrend, die Passhöhe zu erreichen.

Endlich um 19.30 Uhr kam ich triefend nass dort an und suchte eine Unterkunft. Da aber wegen des Feiertages Maria Himmelfahrt ein verlängertes Wochenende begonnen hatte, waren alle Gasthäuser und Hotels, sowohl auf dem Pass, als auch im Tal voll belegt. So blieb mir nichts anderes übrig, als vom Pass abwärts weiter in Richtung Geradmer zu fahren. Dort hoffte ich, ein kleines bescheidenes Quartier in einem Gasthaus zu bekommen. Durch den starken Regen und die große Nässe war an ein Aufstellen meines Notzeltes zu diesem Zeitpunkt nicht zu denken. Auch im Tal, in Xonrupt-Longemer waren alle Gasthäuser, Pensionen und selbst die besten Hotels voll belegt. Glücklicherweise hörte plötzlich der Regen auf und ein wenig kam sogar die Sonne hervor. Auf einem kleinen versteckten Campingplatz in Xonrupt- Longemer bekam ich mit Mühe den letzten kleinen Platz zwischen 2 Wohnmobilen zugewiesen, um dort mein kleines Notzelt aufzustellen. Meine Nachbarn waren zwei holländische Familien mit ihren Wohnmobilen. Eine davon war diejenige, die mich am Spätnachmittag beim Passanstieg mitnehmen wollte. Es stellte sich im Gespräch heraus, dass sie aus der Stadt Assen kamen. Dort hatten meine Frau und ich eine Woche zuvor die Hochzeit ihres Patenkindes Silke gefeiert und somit hatten wir den ganzen Abend viel Gesprächsstoff. Die andere Familie lud mich zu einer warmen Suppe ein. Dieses Angebot nahm ich gerne an, da es nach dem Zeltaufbau bereits spät geworden war. Ich hatte inzwischen auch großen Hunger bekommen. Wir sprachen längere Zeit über die möglichen Risiken meiner Pilgerreise und was wohl an Unvorhergesehenem noch alles passieren könne. Langsam zeigte sich die Müdigkeit nach den Anstrengungen des ersten Tages und ich schlief in dieser ersten Nacht im Zelt trotz meiner sehr dünnen Isomatte einigermaßen ruhig und ordentlich.