Badische Zeitung

Quelle: http://www.badische-zeitung.de/buchenbach/ernste-zweifel-nach-900-kilometern


Ernste Zweifel nach 900 Kilometern

BUCHENBACH. Spätestens seit Hape Kerkeling über seine Pilgererlebnisse auf dem Jakobsweg schrieb, wissen auch an Wallfahrten eher Uninteressierte etwas von diesem mystischen Weg nach Santiago de Compostella. Aber Rudolf Mäder hat sich schon früher auf den Weg gemacht, mit dem Fahrrad. In einem Tagebuch berichtet er jetzt über seine beiden Fahrten zum Grab des heiligen Apostels in Nordwestspanien.

 

Rudolf Mäder auf dem Weg nach Santiago | Foto: rudolf mäder

Rudolf Mäder ist nicht mehr der Jüngste. Was bewegte ihn dazu, diese lange, oft beschwerliche Reise anzutreten? Im Vorwort zu seinem Tagebuch berichtet er, wie er schon als Jugendlicher Wallfahrten erlebt hatte, wie er sich von den Schilderungen über den Jakobsweg faszinieren ließ. Dann in den Jahren 2000 bis 2002 war sein bester Freund Mariano schwer erkrankt, und er gelobte, nach Santiago zu gehen, falls der Freund genesen würde. Dann kamen noch persönliche und berufliche Probleme, und auch hier gelobte er im Stillen, bei einem guten Ende nach Spanien zu pilgern. Als sich alles zum Guten wendete und Rudolf Mäder in den Ruhestand trat, hielt ihn nichts mehr auf, seine Gelübde einzulösen.

In 30 bis 40 Tagen wollte er, ganz allein auf sich gestellt, die rund 2400 Kilometer mit dem Fahrrad zurücklegen. Außer seiner Frau und drei sehr guten Freunden wusste niemand von dem Unterfangen.

Der erste Tag brachte gleich eine sportliche Herausforderung, musste doch der 1139 Meter hohe Col de la Schlucht in den Vogesen bewältigt werden. Und es kam die erste Versuchung: Ein Autofahrer, der Mitleid hatte, wollte den Radler mitnehmen. Aber Rudolf Mäder widerstand der Versuchung und radelte eifrig bergauf. Nach zwölf Stunden schlug er seines kleines Zelt in Xonrupt-Longemer auf. Die ersten 112 Kilometer waren geschafft.


Dass die Pilgerfahrt schon ein frühzeitiges Ende nehmen könnte, bahnte sich am fünften Tag an. Rudolf Mäder war schon 49 Kilometer in Richtung Dijon gefahren, als er im Tal der Tille eine Mittagsrast einlegte. Als er wegfahren wollte, war der Reifen platt. In einer nahe gelegenen Werkstatt fand er rasch Hilfe, achtete aber nicht auf das vor der Werkstatt abgelegte Gepäck. Als er bezahlen wollte, war die Weste mit Papieren und Geldbeutel weg. Nur das Handy und der Pilgerausweis waren ihm geblieben. Der Fahrradmonteur gab ihm zehn Euro, damit er sich etwas zu trinken kaufen konnte. Nach langen Überlegungen in einem Gespräch mit seiner Frau beschlossen sie gemeinsam, dass seine Frau in Begleitung von Freund Mariano noch am selben Abend mit dem Auto rund 330 Kilometer nach Burgund fahren und dem Pilger Papiere und Geld bringen sollte. Gegen 22.30 Uhr kamen sie an, die Weiterfahrt war gesichert.

Nach 26 Tagen und 2280 Kilometer am Ziel: der Platz vor der Kathedrale in Santiago Foto: rud

In der Kirche von Nasbinals gab eine Begegnung Kraft zum Weiterfahren

Am elften Fahrtag erreichte Rudolf Mäder Le Puy en Velay. Das ist der bekannte Treff der Pilgerwege der Via Podiensis. Die Strecke war gut zu fahren, ohne größere Steigung. Das änderte sich jedoch am folgenden Tag, der im Tagebuch mit "Bergauf-Bergab" überschrieben ist. Von 300 Meter ging es auf 1300 Meter, dann auf 500 Meter und wieder auf 1200 Meter, runter auf 700 Meter und noch einmal hinauf auf 1150 Meter. Das sollte bis zu diesem Zeitpunkt mit 92 Kilometern eine der längsten und gleichzeitig schwersten und anstrengendsten Etappen werden.

"Ich war aufgrund meiner totalen körperlichen und geistigen Erschöpfung erneut kurz davor, die Pilgerreise endgültig aufzugeben und machte mir ernsthaft Gedanken über die Möglichkeiten für eine vorzeitige Rückkehr", schrieb Rudolf Mäder in sein Tagebuch. Gut 900 Kilometer hatte er bisher in zwölf Tagen zurückgelegt.

In seinem Entschluss, doch weiterzufahren,wurde er am selben Abend durch ein tiefgreifendes Erlebnis in der Kirche von Nasbinais bestärkt. Als er dort still im Gebet versunken war, hörte er plötzlich lautes Beten und Singen von Kirchenliedern in einer fremden Sprache. Als der andere Pilger fertig war, forderte dieser ihn auf, es ihm gleichzutun. "Ich war so überrascht von dieser Bitte, dass mir nur als Gebet das Glaubensbekenntnis und als Lied ,Großer Gott, wir loben dich’ einfiel". Dann sang der andere in einer fremden Sprache weiter. "Hier habe ich auch die Kraft geschöpft, um trotz der extremen Anstrengungen der letzten zwei Tage, den Entschluss zu fassen, am nächsten Morgen doch wieder weiterzufahren. Entsprechend dem uralten Pilgermotto: Ultreija, immer vorwärts, immer voran, und zu versuchen, mein großes Ziel, das Jakobusgrab in Santiago de Compostella zu erreichen."

Dies gelang dem Buchenbacher Pilger dann auch am 15. September 2003. Es war der 26. Fahrtag, 12.30 Uhr, Kilometerstand 2280. "Der erstmalige Besuch der Kathedrale von Santiago de Compostela war der beeindruckende Höhepunkt in einer langen Reihe von tiefgreifenden Erlebnissen entlang der 2280 Kilometer langen Strecke von der kleinen Jakobuskapelle im Dreisamtal bis zu diesem großen Pilgerort in Nordwestspanien," schrieb der Pilger in sein Tagebuch.

Damit endet jedoch nicht das Tagebuch, es hat einen zweiten Teil: Erfahrungen zu zweit. "Im vergangenen Jahr waren fast alle in meinem Umfeld vorhandenen Sorgen und Probleme gut ausgegangen. Somit hatten sich wieder viele gute Gründe für eine erneute Pilgerreise nach Santiago ergeben". Außerdem wollte sein bester Freund, der Spanier Marion, diese Fahrt mit ihm unternehmen.

Die beiden wählten eine andere Route, auf der sie in 27 Tagen 2235 Kilometer zurücklegten. Das Reizvolle an diesem Teil des Tagebuches ist, das beide Pilger jeden Tag aus ihrer Sicht beschreiben.